8. Die Stadtverwaltung
Zur Zeit der Gründung Gronaus, also um das Jahr 1300, bestanden noch überall in den deutschen Landen die Gogerichte (Gaugerichte), denen ein Gograf als Vertreter des Landesherrn vorsaß. Gebildet wurde das Gericht von der Gesamtheit der freien Landsassen des Gaues. Es fand stets im Schatten einer alten Eiche oder Linde, auf dem Tie, statt, und noch heute erinnern vielfach Plätze mit alleinstehenden Bäumen oder mit Kreuzsteinen an solche früheren Gerichtsstätten.
Diese volkstümlichen Gerichte nun gingen in den aus Dörfern entstandenen Städten auf den Rat (Magistrat) über, meistens aber unter irgendwelchen Beschränkungen oder Vorbehalten zugunsten eines landesherrlichen Obergerichts. In Gronau geschah die Übertragung der Gerichtsbarkeit an den Rat der Stadt durch eine Urkunde des Bischofs Heinrich III, aus dem Jahre 1347. Wie die Dinge im ersten halben Jahrhundert des Bestehens der Stadt geregelt waren, wissen wir nicht. Aber auch die genannte Urkunde von 1347 schuf keine eindeutigen Rechtsverhältnisse, so daß es immer wieder zu den langwierigen Streitigkeiten über die Berechtigungen der städtischen Gerichtsbarkeit und der des Amtes kam, von denen schon früher (Allgemeine Geschichte, Stadt und Amt) die Rede war.
Herzog Erich der Jüngere bestätigte 1557 der Stadt Gronau ihre althergebrachten Rechte, die sich u. a. auf die Mühlen, die Fischerei in der Leine und die Weide zu Bekum und Dötzum erstreckten. Ferner soll die Stadt die alleinige Botmäßigkeit besitzen im Rathause, in den Stadtmühlen, in den Badestuben, im Stadtkeller, in den Torhäusern, auf den Brücken, Stiegen und Stegen. Die Stadt soll auch berechtigt sein, von Wagen und Karren, soweit sie nicht Untertanen des Amtes Lauenstein gehören, vier bzw. zwei Goslarsche Pfennige Wegegeld zur Erhaltung von Brücken und Steinwegen zu nehmen.
Als äußeres Zeichen des Stadtrechtes wurden eine Elle und zwei steinerne Gewichte am Rathause angebracht. Im Rathause selbst übte der Rat die ihm zustehende niedere Gerichtsbarkeit aus, und nach dem Raum, in dem das geschah, hieß dieses Gericht später das "kleine Stubengericht". Es war ein Eckzimmer in dem heutigen Ratskeller; bis zum Jahre 1897 ist es noch benutzt worden und zwar als Sitzungsraum der Stadtvertretung. Der Hauptgegenstand, der dem kleinen Stubengericht oblag, war die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den Bürgern und Bestrafung von Übeltätern. In einem der zahlreichen Streitfälle zwischen Stadt und Amt behauptet der Gronauer Rat, dieses Recht bis gegen das Jahr 1600 ruhig ausgeübt zu haben. Im Jahre 1593 aber brachte der Amtmann Ludolph Gladebeck es dahin, daß der Stadt die Gerichtsbarkeit genommen und dem Amte zugesprochen wurde. Gleichzeitig gingen der Stadt auch noch andere langgeübte Rechte verloren. Selbstverständlich legte sie dagegen Berufung ein und hatte auch teilweise Erfolg. Aber zu einer vollständigen Klärung kam es nicht, vielmehr trat noch im gleichen Jahre ein neuer Zwischenfall ein. Das Amt hatte einen Bürger gefangen gesetzt. Da Rat und Bürgerschaft das für rechtswidrig hielten, befreiten sie den Gefangenen mit Gewalt aus der Haft. Der damalige Landesherr, Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg, nannte das Vorgehen der Gronauer eine "unleidliche und gewaltsame Tat," und drohte mit Entzug der Stadtrechte; die Anstifter wurden in Haft genommen, jedoch bald gegen Sicherheit wieder freigelassen. In dem Schlußentscheid des Herzogs von 1593 über diesen Fall erhielt die Stadt ihre sämtlichen Rechte ausdrücklich bestätigt, es hieß darin folgendermaßen:
..."und sollen und wollen sie demnach sich solchen unziemlichen verbotenen und unleidlichen Vornehmens gegen Uns und Unseren Beamten und Diener, wie billig, hinführo enthalten; allen unterthänigen schuldigen Gehorsam und Gebühr im allewege erzeigen und da künftig über Zuversicht, Mißverständnisse zwischen ihnen und Unserm Beamten einfallen thäten, ihre Notdurfft bei Uns als dem Landesfürsten oder Unserer Regierung unterthänig suchen und aller Thätlichkeit sich entäussern und wegen solcher ihrer künftigen gebührlichen Erzeigung, dero Wir uns zu ihnen gnädig und gänzlich versehen, wollen Wir angeregte Unsere Ungnade und befugte rechtmäßige Strafe gegen sie gnädiglich fallen lassen und ihnen angeregte habende und wohlhergebrachte Privilegien und Gerechtigkeiten aus Gnaden nach wie vorhin lassen, ihnen auch dieselben hiemit und in Karft dieses von Neuem concediren, confirmiren und bekräfftigen also: daß sie und gemeine Stadt und Bürgerschaft sich derselben hinführo, inmaßen vorhin beschehen, doch mit unerthäniger gebührlicher Dankbarkeit, zu gebrauchen, zu erfreuen und zu genießen haben sollen und mögen und soll nun hiermit all dasjenige, was sich diesfalls vom Rathe und gemeiner Bürgerschaft samt und sonders gegen Uns und Unser Amt daselbst zugetragen, gänzlich aufgehoben und ihnen solches an ihren Ehren, guten Leumund und Namen unschädlich senn, noch dafür von Jemandt gegen sie angezogen werden".
Trotz dieses günstigen Entscheids wurde aber, wie das Erbregister des Hauses Gronau vom gleichen Jahre 1593 berichtet, dem Städtischem Gericht wieder ein Landvogt beigegeben, der seit geraumer Zeit nicht ernannt gewesen war. Dieser Landvogt sollte Gronauer Bürger sein oder werden, er hatte alljährlich nach der Neuwahl Bürgermeister und Rat für den Landesherrn in Eid und Pflicht zu nehmen, und bei den Sitzungen des kleinen Stubengerichts hatte er das Amt zu vertreten. Todeswürdige Verbrechen unterstanden ja ohnehin der Gerichtsbarkeit des Amtes. An das Amt gingen auch die Berufungen, sobald eine Partei mit dem Entscheide des Stadtgerichtes einverstanden war. Das Urteil wurde im allgemeinen rasch gefällt, die Strafen waren empfindlich. Unter Umständen konnten sie erlassen werden, doch hatte der Betroffene vorher das eidliche Versprechen abzulegen, daß er gegen den Landesherrn, gegen Amt und Stadt nichts nachteiliges unternehmen wolle. Man nannte das "Urfehde schwören", und für deren strenge Innehaltung hafteten Hab und Gut. Hören wir wenigstens den Anfang einer solchen Urfehde, wie sie köstlich umständlich in dem mehrgenannten Jahre 1593 im Wortlauf festgelegt wurde:
"Nachdem ich oder wir, R. R., durch diese oder jene Veruhrsachung in des hochwürdigen Durchlauchtigen hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Heinrichen Julii, postulierten Bischofen zu Halberstadt und Herzogen zu Braunschweig und Lüneburg, meines oder unsern gnädigen Fürsten und Herrn Hauses und Amts Gronau Haft und Gefängnis gerathen, deren ich oder wir uf bestehende Vorbitt und Abhandlung erlassen, so thue idemnach ich mich, oder wir uns, hiermit für mich, meine Erben, Erbnehmer und allermänniglichen verpflichten, daß ich oder wir dieser Bestickung halber gegen Hochermelten Unsern gnädigen Fürsten und Herrn Herzogen Heinrichen Julius und alle S. hochfürstl. Gnaden Diener und Untertanen, insonderheit aber gegen dero Amtmann, Vogt, Befehlichhaber und Untersassenn des Amts sowie auch Bürgermeistern, Rath und sämtliche Bürgerschaft und Einwohner der Stadt Gronow nicht Gewaltsames, Täthliches noch Widerrechtliches weder durch mich, uns oder andere thun noch fürnehmen lassen, noch auch Jemandes zu Thun gestatten, sondern Hoch- und Obgemeldete Alle disfalls an Leib und Gut gänzlich gesichert, ihn allen Schaden bleiben und sich im geringsten nichts befahren haben sollen, wie ich, oder wir, dessen zu Gott einen leiblichen Aidt geschworen haben...."
Der Streit zwischen Amt und Stadt um die beiderseitigen rechtlichen Befugnisse hat bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts fortgedauert. Es handelte sich dabei für die Stadt nicht nur um die eigentliche Gerichtsbarkeit, sondern auch um manche andere städtische Rechte, z. B. Beurkundung von Ehen, Schließung der Stadttore, Verfügung über das Feuerlöschwesen, Bestrafung von Ausschreitungen, die im Stadtforst begangen waren, ja sogar um die Frage des unmittelbaren schriftlichen Verkehrs seitens des Rates mit der fürstlichen Regierung. Im Jahre 1797 endlich fiel ein Erkenntnis der juristischen Fakultät der Universität Gießen zugunsten der Stadt aus; sogar das "kleine Stubengericht", dem man einige Zeit vorher die Berechtigung abgesprochen hatte, wurde wieder anerkannt. Natürlich saß dessen Verhandlungen auch weiterhin der Landvogt als fürstlicher Beamter vor, er hieß allerdings jetzt "Stadtvogt" und war wohl immer zugleich der Amtsschreiber des Amtes Gronau (dem späteren Kreissekretär entsprechend). Dieses Amt ist fast hundert Jahre lang von Mitgliedern der Familie Zeppenfeldt ausgeübt.
Um auch einmal einen Einblick in die Art der Besoldung derartiger Beamter zu vermitteln, sie die Bestallung des Gronauer Amtsschreibers und Stadtvogts Zeppenfeldt vom Jahre 1766 mitgeteilt. Er erhielt, so berichtet die Familienchronik des Archivars Ignaz Zeppenfeldt unter dem 8. Oktober 1766 an Gehalt 50 Taler, einen freien Kothof, an grobem Holz 16 m, an Basen 7 Schock, behufs Anfahren des Holzes anstatt der bisher gehabten Herrendienstuhren 3 Taler 7 mgr (Abk. für Mariengroschen, 1 Taler = 36 mgr), von der Schäferei zu Barfelde 13 Stück Käse, das Recht, in die Mast 4 Schweine frei zu treiben, in der Stadt Gronau bürgerliche Freiheit"ab oneribus publicis" (von öffentlichen Lasten), von den Jahrmärkten in der Stadt das Stättegeld, von allen in Gronau zum feilen Kauf geschlachteten Hornvieh die Zunge und von den Schweinen eine Wurst, eine Wiese vor Wallenstedt, einen Garten am kleinen Steinwege, von den hausierenden einheimischen Juden 1 ggr (Abk. für Gutegroschen, 1 Taler = 24 ggr), den 3. Pfennig von den in der Stadt aufkommenden Brüchten (Abgaben), für Beeidigungen des Rates zu Gronau 18 mgr. samt den übrigen "emolumenten und accidentien" (Nebeneinnahmen und Gelegenheitseinkünften).
Sehr eingehend schreibt das von der Stadt selbst festgelegte Stadtrecht vom Jahre 1563 in 56 Artikeln den Bürgern die Pflichten gegeneinander und gegen den Rat der Stadt vor. Jede Übertretung dieser Satzung wird mit Geldstrafe geahndet. Wer sich widersetzt, wird mit Haft belegt oder aus der Stadt verwiesen.
Über die Ratsverfassung, die der Stadt wohl von Anbeginn an eignete, haben wir erst aus späterer Zeit genauere Nachrichte, doch läßt sich annehmen, daß sich die städtische Verwaltung des 17. und 18. Jahrhunderts von der des Mittelalters nicht wesentlich unterschied. Demnach bestand der Rat aus dem Bürgermeister, zwei Ratsherren, einem Ober- und einem Unterkämmerer. Dem Rat zur Seite standen zur Beschlußfassung 12 Geschworene (Schöffen, Stadtverordnete, "Deputierte"), von denen 11 Altermänner der Handwerksämter oder Gilden waren, während der Obergeschworene (der heutige Bürgervorsteher=Worthalter) diejenigen Bürger vertrat, die ohne Amt und Gilde waren; er durfte also auch selbst nicht einem Amt oder einer Gilde angehören. Die laufenden städtischen Angelegenheiten erledigte ein besoldeter Sekretär, der rechtskundig sein mußte. Er hatte die Rechtsangelegenheiten der Stadt zu verwalten und bei den Ratssitzungen die Niederschrift zu führen. Die Ämter der Ratsmitglieder waren Ehrenämter mit ganz geringer Entschädigung. So erhielt der Bürgermeister für seine Tätigkeit 20 Taler, 50 Bund Weidenholz und 3 Stück tannene Dielen jährlich. Die Ratsherren und die kämmerer bekamen 8 Taler und ebenfalls 3 Dielen. Diese Dielen wurden anstatt der früheren Einkünfte aus dem ehemaligen Leinezoll verabfolgt. Außerdem standen den Ratsmitgliedern noch einige kleine Nebeneinnahmen zu. Die Geschworenen erhielten gar keine Entschädigung.
Alljährlich wurde der Rat neugewählt, und zwar stets am Montag nach dem Fest der heiligen drei Könige (6. Jan.). Es wählte nicht die gesamte Bürgerschaft, sondern die Geschworenen bestimmten eigene Wahlmänner, die durch den Stadtvogt vereidigt wurden und alsdann die Wahl vornahmen. In den meisten Fällen wählte man an Stelle des ausscheidenden Rates den des Vorjahres, so dass man von einem alten und einem neuen Rat sprach, die einander in der Stadtverwaltung abwechselten. Natürlich wurden, wenn nötig, durch Tod oder aus anderen Gründen entstandene Lücken durch Neuwahl ergänzt oder eben mißliebige Ratsmitglieder durch andere ersetzt. Die Wahl geschah mit einfacher Stimmenmehrheit. Ihr Ende kündigte die große Kirchenglocke, Bürgerglocke genannt, mit lautem Geläut an. Dieses Zeichen aus metallenem Munde rief jeden Bürger, wie es der Bürgereid vorschrieb, unverzüglich nach dem Rathause. Dort verkündete der Stadtsekretär unter Beobachtung der herkömmlichen Formen und unter dem Jubel des Volkes, die Namen der neuen Ratsmitglieder und auch des Obergeschworenen; denn dieser mußte ohne Ausnahme jedes Jahr neu von den Wahlmännern gewählt werden. Der abgehende Bürgermeister hatte danach sämtliche Ratsmitglieder gastlich zu bewirten, und der Stadtmusikant war verpflichtet, dabei die Tafelmusik zu machen und nachmittags und abends den Wahlmännern und Geschworenen im Ratskeller gegen Bezahlung von einem Taler aufzuspielen. Für die Ausrichtung des Gastmahls bekam der Bürgermeister ein Biergebräu (Bürgermeistergebräu). das stets um die Zeit der Ratsänderung gebraut zu werden pflegte. Den Wein stellten die Ratsmitglieder aus eigenen Mitteln, wobei ihr Rang die Zeche bestimmt; jedoch mußten Neugewwählte etwas mehr beisteuern als die bereits wiederholt Gewählten. Diese Sitten hatten sich bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts gehalten, als Gronau zum ersten Male preußisch wurde. Die preußische Regierung schaffte den alljährlichen Ratswechsel und also auch die damit verbundenen Bräuche ab. Geblieben bis in unsere Zeit ist das Amt des Stadtmusikanten, der noch immer für seine Dienste einen der Stadt gehörigen Garten in Lehde zur Nutzung überwiesen bekommt und außerdem jährlich 24 Mark bezieht. Dafür muß er an den drei großen christlichen Festen, Weihnachten, Ostern und Pfingsten, vom Kirchturm Choräle blasen.
An dieser Stelle mögen auch die Bestimmungen über den Erweb des Bürgerrechtes und den alten Bürgereid vom Ende des 18. Jahrhunderts Aufnahme finden. Ein Niederschriftenbuch nebst Personenverzeichnis, das seit dem Jahre 1782 im Rathause, wenn auch mit einigen Lücken, geführt wird, berichtet darüber folgendes: "Ein jeder, der ein Bürgerhaus taufet, erheiratet, oder eigentümlich aquiriert (=erwirbt), oder bürgerliche Nahrung zu treiben gesonnen ist, er sei männlichen oder weiblichen Geschlechts, muß sogleich bei E. E. Rathe um Erteilung des Bürgerrechts nachsuchen und, wenn er ein Großbürger- oder Brauhaus annimmt, bar bezahlen:
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